Da Capo: Vom Sinn und Unsinn des Geo-Taggings
Diverse Sites wie z.B. Tagesschau.de haben in den letzten Jahren versucht, Ihre Sites mit Hilfe des Geo-Taggings attraktiver zu machen.
In den letzten Monaten gewann dieses Thema durch die Launchs mehrerer Sites mit Geo-Tagging wieder an Dynamik. Erst startete die Saarbrücker Zeitung ihre neue Site, dann folgte DerWesten.de und wenige Wochen später kam noch das amerikanische Angebot YourStreet.com hinzu.
Aber wird die Site durch Geo-Tagging wirklich attraktiver? Was bringt Geo-Tagging? Und kann man überhaupt von DEM Geo-Tagging reden?
Bereits letztes Jahr hatte ich mich dem Thema im Blogeintrag Vom Sinn und Unsinn des Geo-Tagging gewidmet. Angesichts der neuen Entwicklungen und ersten Erkenntnisse anhand der oben genannten Sites, soll dieser Artikel das Thema jedoch grundlegender beleuchten.
Betrachtet man die Geo-Tagging-Experimente der letzten Jahre, so fällt auf, dass man diese in zwei Kategorien unterteilen sollte:
- Auf der einen Seite sollen den Nutzern über Landkarten der Zugriff auf Artikel oder andere Inhalte wie z.B. Immobilienanzeigen ermöglicht werden.
- Andererseits soll die Darstellung eines Ortes auf einer Landkarte eine Zusatzinfo zu einem Artikel oder einem sonstigen Inhalt darstellen. So z.B. die Anzeige des Ortes eines Verkehrsunfalls.
Der innovative Aspekt ist dabei weniger der (oft automatisierte) Ausweis des geographischen Ortes als vielmehr die Darstellung auf einer Landkarte. Denn die seit ewigen Zeiten verwendeten Ortsmarken zu Beginn eines Artikels oder auch z.T. Infografiken stellen seit langer Zeit bekannte, wenngleich zum Teil etwas krude Formen des Geo-Taggings dar.
Landkartenfrust
Alle drei genannten Sites und auch Tagesschau.de nutzen Landkarten, um auf diesen Artikel anzuzeigen. Dem Nutzer soll es dadurch gelingen, Informationen aus seiner Nachbarschaft oder aus einem anderen für ihn relevanten Gebiet leicht zu finden.
Dieses setzt voraus, dass
- alle Artikel sinnvoll auf einer Karte darstellbar sind,
- dieses fehlerfrei und verlässlich erfolgt und
- die Nutzung dieses Zugangsweges in Sachen Nutzerfreundlichkeit der üblichen Listenansicht nicht wesentlich nachsteht.
Und anhand dieser drei simplen Kriterien offenbart sich die ganze Misere vieler Geo-Tagging-Versuche.
An einem grundlegenden Problem kommt niemand in der Konzeption von Landkarten mit Geo-Tags vorbei: Die meisten Artikel lassen sich einfach nicht sinnvoll einem bestimmten Punkt auf einer Landkarte zuordnen. Beckers neue Freundin oder steigende Kinderarmut - wie soll man diese Themen vernünftig mit einem Punkt auf einer Landkarte darstellen?
Zudem setzen bisherige Geo-Tagging-Ansätze fast ausschließlich einzelne Punkte als Tags ein, wenngleich oft genug andere Formen des Geo-Taggings sinnvoll wären. Das in der Lokalpolitik heiß diskutierte neue Gewerbegebiet ist eine Fläche, die gesperrte Straße eine Strecke (von – bis), die Spielstätten der EM 2008 sind über mehrere Orte verteilt und die Luftlinie von Berlin nach Frankfurt ist eine Distanz. Alle diese geographisch relevanten Inhalte lassen sich mit bisherigen Geo-Tagging-Ansätzen nicht sinnvoll als Zugang zu den Inhalten verwenden.
Auch der Bedeutung eines Themas wird nicht ausreichend Rechnung getragen. Hat Becker seine neue Freundin in London kennen gelernt? Mag sein, aber sollte deshalb der Nutzer tatsächlich diese Story über einen Tag, der in London steckt finden sollen? Interessiert die Geschichte nicht eher viele Leser in ganz Deutschland. Und hat diese Geschichte nicht herzlich wenig mit London zu tun?
Angesichts dieser konzeptionellen Schwierigkeiten ist es wenig verwunderlich, dass viele Geo-Tagging-Angebote bzgl. der zweiten generellen Anforderung nach Verlässlichkeit starke Probleme haben. Insbesondere auf DerWesten.de ist nur noch ein verschwindend geringer Anteil der Nachrichten mit Tags versehen. Aufgrund des nicht ganz unerheblichen Aufwands, den das geo-taggen eines Inhalts erfordert ist die derzeit fast nicht vorhandene Mitarbeit der Redakteure beim geo-taggen der Artikel wenig verwunderlich.
Auch hinsichtlich der Anforderung nach Nutzerfreundlichkeit liegen Geo-Tagging-Versuche hinten. Sie stehen in Konkurrenz zu den klassischen Listenansichten, denen man – egal wie wenig innovativ sie sein mögen – einen Mangel an Nutzerfreundlichkeit nicht attestieren kann.
Jedem, der Geo-Tags als Zugangsmethode zu den Nachrichten eines Gebiets konzeptionell für eine tolle Sache hält, möchte ich empfehlen, diese Methode auf Tagesschau.de, DerWesten oder einer beliebigen anderen Seite anzuwenden. Um es vorweg zu nehmen: Das Erkunden der Nachrichtenlage über diese Methode ist eine Qual. So etwas findet man nur vom bequemen Sitz im Saal einer Fachkonferenz aus toll, wenn es mit PowerPoint präsentiert wird. Am nächsten Morgen im Büro wird man sich das höchstens ein Mal antun und danach nie wieder.
Als Zwischenfazit kann man festhalten, dass Landkarten als genereller Zugang zu Inhalten zumindest derzeit massive Schwächen haben. Angesichts der grundlegenden konzeptionellen Schwächen bezweifle ich aber, dass Sie eine auch nur annäherungsweise relevante Stellung auf Nachrichtensites der Zukunft einnehmen werden.
Sinn machen sie in solchen Fällen, in denen nur eine sinnvolle und geographisch gut kodierbare Teilmenge von Inhalten wie z.B. die Austragungsorte der EM 2008 oder die Suchergebnisse einer Immobiliensuche mittels einer Landkarte zugänglich gemacht werden.
Mehrwert mit Grips
Nicht den Weg von der Landkarte zum Inhalt, sondern genau umgekehrt verläuft der Nutzerpfad, wenn ein Geo-Tag auf einer Landkarte dem Nutzer Mehrwert zu einem Artikel oder sonstigen Inhalt vermitteln soll. Das kann die Anzeige der genauen Adresse einer Immobilie sein oder der Ort eines Verbrechens.
Konzeptionell stößt dieser Ansatz auf fast die gleichen Probleme wie der obige. Viele Inhalte lassen sich nicht sinnvoll mit einem Punkt als Geo-Tag aufwerten. Für viele Inhalte macht ein einzelner Geo-Tag-Punkt überhaupt keinen Sinn, ist irrelevant, oder aber es werden Flächen, Strecken etc. als Geo-Tags benötigt (siehe Beispiel auf onlinejournalismus.de (auf "ganz in der Nähe" klicken).
Diese Probleme wiegen hier aber weniger schwer, da es bei dieser Verwendung von Geo-Tags keine Anforderung der umfänglichen Geo-Codierung gibt. Auch wenn 99 Artikel nicht ge-tagged wurden, so kann der Tag des hundertsten Artikels sehr wohl Sinn machen.
„Kann“ Sinn machen, muss aber nicht. Wenn sich z.B. Umweltminister Gabriel zum Thema Tempolimit äußert und diese Nachricht mit Luxemburg verbunden wird, weil er sich zum Zeitpunkt seiner Äußerung dort aufgehalten hat, dann wird hier kein Mehrwert geboten, sondern der Nutzer einfach nur in die Irre geführt.
Eine Automatisierung des Geo-Taggen würde hier folglich an ihre Grenzen stoßen.
Nichtsdestotrotz kann diese Form des Geo-Taggens vom Artikel hin zur Landkarte äußerst sinnvoll sein. Die Entscheidung zum Setzen eine Geo-Tags muss allerdings im Einzelfall und unter Abwägung des zu erzielenden Mehrwerts getroffen werden.
08.12.07
Kommentare
Vielleicht sind ja die Überlegungen die ich privat und für die dpa-infocom zu dem Thema angestellt habe interessant: http://relations.ka2.de/tag/goingplaces
Auf der Where2.0 und dem Wherecamp2008 gab es positive Rückmeldungen. Bin an einem Meinungsaustausch interessiert, da bislang nur wenig Feedback von seiten der Verlage kam (insbesondere in Bezug auf die Scopes).
Ein weiterer bislang nur selten behandelter Aspekt des Themas ist die Verfügbarkeit der Geodaten (insbesondere der Geometrien, der Länder, Kreise, Städte, Stadtteile etc).
Im Gegensatz zu den USA sind diese in Deutschland / Europa nicht frei verfügbar, man kann das Redistributionsrecht zumeist noch nicht mal kaufen und wenn, dann nicht zu Preisen die sich jemand der nicht Google heisst leisten kann. IMHO ein echter Wettbewerbsnachteil.
02.06.08 09:29
Gerd Kamp