onruhr: Zwischen Lust und Frust im Ruhrgebiet

Heute ist offizieller Launch der neuen Online-Zeitung onruhr für das Ruhrgebiet. Rund um den ehemaligen WAZ-Chefredakteur Knüpfer setzt ein kleines Team ein neues Konzept der lokalen und regionalen Berichterstattung um.

Als Leser und Branchenbeobachter ist man hin- und hergerissen zwischen der Freude über ein solches innovatives Unterfangen und dem Frust, der einen beim Anblick der Umsetzung dieses Konzepts befällt.

Zug um Zug will Knüpfer mehrere Dutzend Städte des Ruhrgebiets redaktionell abdecken. Recherche und Tiefe verspricht er, Schrilles lehnt er ab. Langsam will er von einem kleinen Startangebot aus wachsen.

So weit klingt das alles ganz vernünftig. Wäre da nicht die Aussage, die man als Drohung zu verstehen hat: „[onruhr] will Tageszeitung sein, Portal zu den Adressen der Ruhr, Marktplatz und mehr. onruhr ist für alle da […]“.

Promenadenmischung statt Rassehund

Wer (fast) alles für alle will und das zudem mit sehr begrenzten Ressourcen macht nichts richtig. Dieses Konzept funktioniert bei Regionalzeitungen halbwegs, scheitert aber im Internet, wo die spezialisierte Konkurrenz nur einen Klick entfernt ist.

Dabei können begrenzte Ressourcen eine optimale Voraussetzung für ein erfolgreiches Produkt sein. Die Knappheit kann erzwingen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Diverse erfolgreiche Unternehmensgründer haben rückblickend ihren Geldmangel als Erfolgsfaktor gewertet und warnen vor dem Einsatz von zu viel Kapital.

Aber onruhr macht vor, dass Knappheit nicht automatisch die Fokussierung auf die wesentlichen Elemente zur Folge hat. Auch mit einer reichlichen Portion Nachsicht und Verständnis für die Anfangsprobleme einer Site überkommt einen der pure Frust angesichts der onruhr-Site.

Nichts los in Essen

Essen ist eine der größten Städte Deutschlands und die erste Stadt, die durch onruhr abgedeckt wird. onruhr vermittelt den Eindruck, dass Essen toter als tot ist.

Eine einzige Seite redaktioneller Berichterstattung für Essen ist zugänglich, eine zweite führt zur gestrigen Wirtschaftsseite. Für das gesamte Wochenende (Fr – So) enthält der Veranstaltungskalender schlappe zwei Termine und laut Rubrikenmarkt sind in Essen nur drei Mietwohnungen verfügbar.

Selbst für eine frisch gestartete Site ist so etwas eine indiskutable Qualität, insbesondere dann, wenn man sich das Lokale so auf die Fahnen geschrieben hat.

Ergänzt wird dieser Mangel in der vermeintlichen Kernkompetenz durch weitere ärgerliche Schwächen.

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onruhr soll eine Zeitung zum Ausdrucken sein. Dieses Konzept ist in den letzten Wochen ausreichend diskutiert und überwiegend negativ bewertet worden. Aber unabhängig davon, was andere davon halten, sollte man seine eigene Idee konsequent umsetzen.

Und zu einer Zeitung zum Ausdrucken gehört eine adäquate Druckfunktion. Hiervor ist nichts zu sehen. Weder wird dem User das Ausdrucken auf den Seiten mittels markanter Hinweise nahe gelegt, noch gibt es eine Funktion, die das Ausdrucken der gesamten Zeitung oder einer vordefinierten Auswahl von Seiten ermöglicht (z.B. nur die Mantelseiten und den für den User relevanten Lokalteil).

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Nutzer der Site morgens ihren Rechner hochfahren, jede Seite einzeln anklicken und diese dann ausdrucken.

Warten auf die Überraschung

Im Interview mit Pottblog hatte mir Herr Knüpfer geraten, mich zu registrieren und dann überraschen zu lassen. Auf die Überraschung warte ich immer noch.

Aber wozu überhaupt die Registrierung? Prominent ist sie oben links platziert und führt den User zum schlechtesten Registrierungsprozess, den ich seit langem gesehen habe.

Während dem User kein Grund für die Registrierung mitgeteilt wird, verlangt man von ihm umfangreiche Daten wie z.B. seine Adresse als Pflichteingabe (Stichwort: Datenarmut). Hinweise auf die AGBs und Datenschutzerklärungen sucht man vergebens. Auf die übliche, angekündigte und einfach zu implementierende Bestätigungsemail warte ich noch heute. Vorteile durch die Registrierung hat man keine.

Solche Beispiele finden sich auf dieser Site an jeder Ecke. Viele davon sind nicht mit den geringen Ressourcen erklärbar.

Lange Rede, kurzer Sinn: die Prioritätensetzung in der Konzeption und schrittweisen Implementierung dieser Site ist nicht nachvollziehbar. Statt sich auf die Basics zu konzentrieren setzt man dem User ein Angebot vor, dass auch nicht die Minimalanforderungen an eine lokale Nachrichtensite erfüllt.

Stattdessen implementiert man einen sinnfreien und rechtlich beanstandbaren Registrierungsprozess, einen unnützen Ticker und viele andere Dinge mit geringem Mehrwert.

Man solle „nicht zu viel erwarten“, bittet Herr Knüpfer heute seine Leser. Tun wir nicht, wir wollen nur die Basics.

Man wünscht sich, dass die nächsten Schritte von onruhr weniger der Erweiterung denn der Optimierung des bestehenden Angebots gelten. Denn abschließend muss ich wieder auf mein Statement vom Anfang dieses Artikels verweisen: Bei allem Frust muss man dennoch anerkennen, dass mit onruhr eine in Deutschland bislang einzigartige Initiative im Netz gestartet ist und es hoffentlich nicht bei dieser einen bleiben wird.


Relevante Links:
- Interview mit Herrn Knüpfer auf Pottblog (Teil 1, Teil 2)
- Erster Beitrag auf Print to Internet zu onruhr

Kommentare

Ganz abgesehen vom dem furchtbaren "Design", das einem Tränen in die Augen treibt ... Versteh ich nicht.

21.11.06 16:40

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